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„Sollen sie doch gehen“: Eine neue Welle der akademischen Auswanderung aus der Türkei

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„Sollen sie doch gehen“: Eine neue Welle der akademischen Auswanderung aus der Türkei

Die Verhaftung des Bürgermeisters der Istanbuler Stadtverwaltung, Ekrem İmamoğlu, und die Aberkennung seines Diploms stellten einen Wendepunkt dar, der nicht nur die Politik, sondern auch die akademische Welt in der Türkei zutiefst erschütterte. Der zunehmende Druck der Regierung richtet sich nicht nur gegen Politiker, sondern auch gegen Wissenschaftler und Studenten. Vor allem die jüngere Generation wählt zunehmend den Weg ins Ausland als Ausweg.

İmamoğlus Verhaftung und die Reaktion an den Universitäten

Die Verhaftung von İmamoğlu am 19. März 2025 aus politischen Gründen und die anschließende Inhaftierung Hunderter Studenten aufgrund von Protesten rückten die Universitäten in den Mittelpunkt politischer Konflikte. Auf vielen Campusgeländen, von der Universität Istanbul bis zur Middle East Technical University, begannen Studierende, den Unterricht zu boykottieren und zu protestieren.

Infolge dieser Entwicklungen wurden mehr als 500 Studenten festgenommen. Berichten zufolge sind 299 von ihnen noch immer inhaftiert.

Akademie unter Druck: Junge Menschen suchen ihre Zukunft im Ausland

Politischer Druck betrifft jeden. Faktoren wie die Besetzung der Universitätsleitungen mit regierungsnahen Personen, die Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit, der Druck auf Veröffentlichungen und die Zensur der Meinungsfreiheit spielen eine entscheidende Rolle bei der Hinwendung junger Wissenschaftler ins Ausland.

Laut einer Studie des Istanbul Policy Center der Sabancı-Universität vom März 2024 möchten 63 % der jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren außerhalb der Türkei leben. Zu den am häufigsten genannten Gründen zählen der Wunsch nach mehr Freiheit (20,7 %) und das Gefühl, sich in der Türkei nicht sicher zu fühlen (16,8 %).

Gleichzeitig gaben 44 % der jungen Akademiker an: „Ich möchte meine akademische Karriere bei der ersten Gelegenheit im Ausland fortsetzen.“

Politisches Klima beeinflusst die Wissenschaftsproduktion

Universitäten in Industrieländern berichten von einem starken Anstieg der Bewerbungszahlen aus der Türkei. Universitäten in Deutschland, den Niederlanden und Kanada haben begonnen, neue Stipendien- und Gastforscherprogramme für türkische Forscher zu eröffnen. Globale Solidaritätsprogramme, insbesondere „Scholar at Risk“, schützen Akademiker aus der Türkei. Diese Migrationswelle bedeutet nicht nur die Flucht einzelner Menschen, sondern auch eine große Lücke in der wissenschaftlichen Produktionskapazität der Türkei.

Die Türkei entfernt sich von der Informationsgesellschaft

Während die zunehmenden Jugendproteste als Hoffnung gelten, treibt das aktuelle politische Klima junge Menschen aus dem Land. Die Akademie hingegen kann nicht über ihre Rolle als stummer Zeuge dieser Krise hinausgehen. Die meisten Universitäten vermieden es, Stellungnahmen zur Verhaftung İmamoğlus und zur Inhaftierung der Studenten abzugeben.

Die Zukunft der Türkei wird nicht nur an der Wahlurne, sondern auch in den Hörsälen der Universitäten gestaltet. Doch wenn diese Hörsäle weiterhin leer bleiben, wird nicht nur das Wissen von heute, sondern auch das von morgen verstummen.