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Aus der Türkei eingewanderte Forscherinnen und Forscher tauschten ihre Erfahrungen aus

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Aus der Türkei eingewanderte Forscherinnen und Forscher tauschten ihre Erfahrungen aus

Zoom – 29. Juli 2025: Akademische Solidarität e.V. veranstaltete am Abend des 29. Juli 2025 ein virtuelles „Erfahrungsaustauschtreffen: Forscher/Dozent an der Universität werden“. Die Online-Veranstaltung, die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Zoom anzog, präsentierte vier türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Gastrednerinnen und Gastredner. Sie berichteten von ihrem Weg zum Aufbau einer akademischen oder wissenschaftlichen Karriere im Ausland und gaben Einblicke in die Herausforderungen und Strategien für die Fortsetzung des akademischen Lebens im Ausland. Die Rednerinnen und Redner waren:

  • Dr. Zekeriya Aktürk – Ärztin und Forscherin,
  • Dr. Lokman Alpsoy – Forscherin in Chemie und Biologie,
  • Dr. Sena Arslan – Fachkrankenschwester und
  • Dr. Burhan Cevik – Experte für Karrierewege im IT-/Softwaresektor.

Im Folgenden fassen wir den Hintergrund und die wichtigsten Erkenntnisse der einzelnen Rednerinnen und Redner zusammen.

Dr. Zekeriya Aktürk: Neuaufbau einer medizinischen Forschungskarriere in Deutschland

Dr. Zekeriya Aktürk, einer der ersten Professoren für Allgemeinmedizin in der Türkei, berichtete, wie politische Unruhen seine Karriere unterbrachen und wie er sie in Deutschland wieder aufbaute. Nach den Ereignissen im Juli 2016 in der Türkei wurde Dr. Aktürk trotz einer herausragenden Karriere als Medizinwissenschaftler per Notverordnung (KHK) von seiner Universitätsstelle entlassen. Er beschrieb diese Zeit als schmerzhaften beruflichen Neustart; zeitweise drohte ihm wegen seiner angeblichen Verbindungen sogar eine 14-monatige Haftstrafe – eine Erfahrung, die ihn ins „Exil“ aus der türkischen Wissenschaft zwang.

Im Jahr 2020 zog Dr. Aktürk im Alter von 55 Jahren nach Deutschland, um einen Neuanfang zu wagen. Er wurde als Forscher am Institut für Allgemeinmedizin der Technischer Universität München aufgenommen. Später wechselte er an die Medizinische Fakultät der Universität Augsburg, wo er heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Allgemeinmedizin arbeitet. Innerhalb weniger Jahre erlangte er in Deutschland seine Facharztzulassung zurück und erhielt damit das Recht, zu praktizieren und sogar eine Klinik zu eröffnen oder zu leiten. Stolz bemerkte er: „Ich habe gezeigt, dass ich meine Karriere durch Leistung und nicht durch Bevorzugung erreicht habe, indem ich 24 Jahre später dieselbe Karriereleiter erneut erklommen habe“ – eine deutliche Botschaft an diejenigen, die seine Leistungen in der Türkei untergraben hatten.

Dr. Aktürks Geschichte verdeutlichte mehrere Schlüsselstrategien für den Erfolg im Ausland. Zunächst betonte er die entscheidende Bedeutung von Sprachkenntnissen. Er erinnerte sich an seine Vorbereitung auf die deutschen Medizinprüfungen und sagte: „Der Schlüssel zur Ausübung Ihres Berufs im Ausland ist das Erlernen der Sprache.“ Er würdigte, dass er schon früher Deutsch gelernt und in der Türkei sogar Deutschkurse gegeben hatte, was ihm einen Vorsprung bei der Integration in das deutsche System verschaffte.

Dr. Aktürk betonte, wie wertvoll es sei, das eigene Fachwissen zur Lösung globaler Probleme einzusetzen. Er hat seine persönlichen Erfahrungen zu einem Forschungsschwerpunkt gemacht: An der Universität Augsburg interessiert er sich unter anderem für Migrationsforschung und untersucht aktiv den anhaltenden Exodus von medizinischem Fachpersonal aus der Türkei. Während des Treffens erläuterte er einige allgemeinere Zusammenhänge aus seiner Arbeit: Über 7.000 Akademiker wurden nach 2016 per Notverordnung von türkischen Universitäten entfernt, und in den letzten Jahren haben über 4.000 türkische Ärzte das Land verlassen, um im Ausland bessere Möglichkeiten zu finden. Diese ernüchternden Statistiken vermittelten den Teilnehmern ein Gefühl für das Ausmaß der Abwanderung von Fachkräften aus der Türkei, während Dr. Aktürks Weg ein hoffnungsvolles Beispiel für deren Überwindung darstellte. Er betonte, dass Anpassungsfähigkeit, kontinuierliches Lernen und die Aufrechterhaltung des beruflichen Selbstvertrauens von entscheidender Bedeutung seien. Obwohl er in einem neuen Land bei Null anfangen musste, gelang es Dr. Aktürk, seinen Status als Facharzt und Forscher zurückzugewinnen. Er hofft, dass diese Leistung andere inspirieren wird, die vor ähnlichen Hindernissen stehen.

Dr. Lokman Alpsoy: Von einer geschlossenen Universität zur Spitzenforschung in Europa

Dr. Lokman Alpsoy berichtete von seinem Weg von einem hochrangigen Wissenschaftler in der Türkei zu einem Forscher in Deutschland. Vor 2016 war Dr. Alpsoy Dekan des Instituts für Gesundheitswissenschaften und Leiter der Abteilung für Biologie an der Fatih-Universität in Istanbul. (Die Fatih-Universität war eine angesehene Privatuniversität, bis Erdoğan sie 2016 schloss.) Die plötzliche Schließung seiner Universität im Zuge der Säuberungen nach 2016 ließ Dr. Alpsoy, wie Tausende andere Wissenschaftler, ohne Institution zurück. Er beschrieb die Unsicherheit und den Identitätsverlust, die mit dem abrupten Ende seiner akademischen Karriere in der Türkei verbunden waren.

Entschlossen, seine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, suchte Dr. Alpsoy nach Möglichkeiten im Ausland. Schließlich zog er nach Deutschland und ist heute außerordentlicher Professor und Forscher an der Universität Freiburg. Am Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) leitet er ein Forschungsprojekt zu innovativen Biomaterialien – insbesondere zu hydrogelkügelchenbasierten Trägern für die potenzielle Krebsforschung und -diagnose. In dieser Funktion kann er seine Expertise in Molekularbiologie und Chemie in die interdisziplinäre Spitzenforschung einbringen. Dr. Alpsoy merkte an, dass der Übergang in ein neues Forschungsumfeld zunächst eine Herausforderung war – er musste sich mit neuen Laboren und Fördersystemen vertraut machen –, aber seine umfangreiche Publikationsliste und seine Erfahrungen in der Türkei halfen ihm, seine Stelle in Deutschland zu sichern. Er hat über 60 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und wird fast 1.600 Mal zitiert, was seine anhaltende Produktivität im Exil widerspiegelt.

Ein wichtiges Thema in Dr. Alpsoys Vortrag war die Bedeutung von beruflichen Netzwerken und Mentoring. Er betonte, wie die Teilnahme an Förderprogrammen für vertriebene Akademiker seine Integration erleichterte. So nahm er beispielsweise an einer Mentoring-Initiative von Academics at Risk e.V. teil, einer in Deutschland ansässigen Solidaritätsorganisation für gefährdete Wissenschaftler. Dr. Alpsoy ermutigte andere nachdrücklich, sich Mentoren und Unterstützung aus der Gemeinschaft zu suchen, und merkte an: „Sie sind nicht allein – es gibt Netzwerke, die sich dafür einsetzen, Wissenschaftlern wie uns zu helfen, unsere Arbeit in einem freien und sicheren Umfeld fortzusetzen.“

Während der Fragerunde sprach Dr. Alpsoy auch über die Notwendigkeit, das eigene Fachwissen an die Prioritäten des Gastlandes anzupassen. In seinem Fall wechselte er von der Lehre und der administrativen Leitung in der Türkei zu einer fast ausschließlichen Forschungstätigkeit in Deutschland. „Ich bin vom Dekan wieder zum Laborwissenschaftler geworden“, sagte er lächelnd und betonte, dass beim Wiederaufbau einer Karriere keine Aufgabe zu bescheiden sei. Er riet seinen Kollegen zur Flexibilität: „Seien Sie bereit, verschiedene Rollen zu übernehmen. Vielleicht waren Sie zu Hause Professor oder Manager; vielleicht beginnen Sie im Ausland als Postdoc oder Techniker. Betrachten Sie es als Lernerfahrung.“

Dr. Sena Arslan: Stärkung von Gesundheitsfachkräften über Grenzen hinweg

Dr. Sena Arslan bot Einblicke aus der Perspektive einer Gesundheitsforscherin, insbesondere für nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte, die ihre Karriere international vorantreiben möchten. Nach ihrer Ausbildung in der Türkei war Dr. Arslan dort in der Gesundheitsforschung und -ausbildung tätig – beispielsweise wirkte sie 2016 an Studien zur Pflege und Patientenversorgung in türkischen Einrichtungen mit. Wie viele Kollegen wurde ihre frühe Karriere jedoch durch die Instabilität des türkischen Hochschulsektors beeinträchtigt. Entschlossen, ihren akademischen Weg fortzusetzen, zog sie in die Niederlande, um sich weiterzubilden und zu forschen.

Seit 2018 forscht Dr. Arslan in der Abteilung für öffentliche Gesundheit und Innere Medizin am Erasmus-Universitätsklinikum in Rotterdam, Niederlande. Ihre Schwerpunkte liegen in der Pflegeausbildung, dem Patientenselbstmanagement und der Unterstützung in der Palliativversorgung. Ihre Veröffentlichungen behandeln Themen wie die Auswirkungen von Schlafmangel auf die Herzgesundheit von Pflegekräften und die Selbstwirksamkeit von Pflegefachkräften bei der Patientenbetreuung. Dr. Arslans Erfolg im Ausland ist auch ein Beleg für internationale Solidaritätsprogramme: Sie erhielt Unterstützung vom Scholar Rescue Fund (SRF), der ihre Forschung finanzierte und sie in die niederländische akademische Gemeinschaft integrierte. Sie erklärte, dass Stipendien und Fellowships, die sich ausdrücklich an gefährdete Wissenschaftler richten, eine wichtige Brücke zu Chancen in Europa sein können.

In ihrem Vortrag ging Dr. Arslan auf die besonderen Herausforderungen ein, mit denen nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte konfrontiert sind, die ins Ausland migrieren. Im Gegensatz zu Ärzten, deren Qualifikationen oft klare Anerkennungsmöglichkeiten haben, ist die Übertragung der Qualifikationen von Fachkräften wie Krankenpflegern, Labortechnikern oder Experten im öffentlichen Gesundheitswesen möglicherweise schwieriger. Sie berichtete, dass sie nicht nur eine neue Sprache (Niederländisch) lernen, sondern ihre Expertise manchmal auch durch zusätzliche Zertifizierungen und ein PhD-Programm „erneut unter Beweis stellen“ musste, um die Gleichwertigkeit in Europa zu erlangen. Ein wichtiger Ratschlag, den sie gab, war, weiterführende Abschlüsse oder Spezialisierungen im Ausland zu erwerben, um in das System einzusteigen. Beispielsweise kann die Einschreibung in ein Master- oder PhD-Programm die eigenen Qualifikationen verbessern und als Sprungbrett für den Berufseinstieg dienen.

Dr. Arslan betonte zudem die Bedeutung von Soft Skills und kultureller Anpassung. Sie merkte an, dass sich die Gesundheitspraktiken und Arbeitskulturen in der Türkei und Westeuropa erheblich unterscheiden können. So seien Pflegekräfte in den Niederlanden beispielsweise stark in die klinische Entscheidungsfindung eingebunden, was von ihr erfordere, ihre Herangehensweise anzupassen und türkisch ausgebildete Kollegen zu ermutigen, diese Kompetenzen zu erwerben. Sie betonte die kontinuierliche berufliche Weiterentwicklung: „Seien Sie offen für neue Protokolle, neue Technologien und auch neue Wege der Kommunikation mit Patienten und Kollegen“, sagte sie. Auf diese Weise könnten sich auch nichtärztliche Fachkräfte weiterentwickeln und wertvolle Perspektiven aus ihrem Heimatland einbringen.

Dr. Burhan Cevik – Integration an deutschen Universitäten

Nach langjähriger Tätigkeit als Physiklehrer entwickelte Dr. Burhan Cevik später in seiner Karriere ein Interesse an Informationstechnologie und Informatik. Neben seiner Tätigkeit als Physiklehrer schloss er seinen Master und seine Promotion in diesen Bereichen ab. Bevor er die Türkei verlassen musste, arbeitete er bereits an einer Universität im Bereich Softwareentwicklung.

Dr. Cevik arbeitet in den Bereichen Virtual-Reality-Umgebungen, haptische Schnittstellen und Roboterarme. Aufgrund des Mangels an Wissenschaftlern mit Expertise in allen drei Bereichen in Deutschland erhielt er schnell Antworten auf seine vorherigen Bewerbungen. Im zweiten Bewerbungsverfahren unterzeichnete er einen Vertrag mit einer Hochschule, bei der er ein Vorstellungsgespräch hatte.

Später begann er, sich auf Projektbasis zu bewerben, und unterzeichnete nach seinem ersten Vertrag einen zweiten. Derzeit arbeitet er an einem von ihm selbst vorgeschlagenen Projekt, das mit rund 1,6 Millionen Euro gefördert wird. Dabei arbeitete er mit seiner Hochschule, zwei Unternehmen und einem Universitätsklinikum zusammen.

Aufgrund seiner Erfahrungen betonte er, wie wichtig es sei, Projektausschreibungen in Deutschland und der Europäischen Union zu prüfen und darauf basierend innovative und originelle Ideen zu entwickeln. Er betonte außerdem, dass die Zusammenfassung dieser Ideen in einem kurzen und klaren Text, der Austausch mit einem Professor des entsprechenden Fachgebiets an einer Universität und die klare Formulierung der eigenen Motivation äußerst wirksame Schritte zur Sicherung einer akademischen Stelle seien.

Dr. Cevik rät seinen Kollegen, nicht schüchtern zu sein und die Sprachbarriere nicht als unüberwindbare Hürde zu betrachten. Er ermutigt sie, die Sprache weiter zu lernen und sich gleichzeitig auf akademische Stellen zu bewerben, und nicht die Motivation zu verlieren, wenn sie negative Antworten erhalten. Er erklärte, dass er heute nicht in seiner jetzigen Position wäre, wenn er diesen Ansatz nicht selbst gewählt hätte.

Er betonte außerdem, dass die Zusammenfassung dieser Ideen in einem kurzen und klaren Text, der Austausch mit einem Professor des entsprechenden Fachgebiets an einer Universität oder Hochschule und die klare Formulierung der eigenen Motivation äußerst wirksame Schritte zur Sicherung einer akademischen Stelle seien.

Er wies darauf hin, dass die Aufnahme einer Stelle an einer Universität oder Hochschule auch Lehrmöglichkeiten für Wissenschaftler eröffne. In diesem Zusammenhang hat Dr. Cevik Backend- und Frontend-Vorlesungen für Bachelorstudierende gehalten und unterrichtet derzeit die Vorlesung „Haptische Schnittstellen“ für Masterstudierende.

„Trotz seiner Weichheit und Fließfähigkeit ist der Hauptgrund, warum ein Wassertropfen Marmor abtragen kann, sein ständiges Tropfen an derselben Stelle.“

Von der Säuberung zur Erneuerung: Gold wird im Exil nicht anlaufen

Seit 2016 wurden mehr als 7.000 Akademiker durch Notverordnungen von türkischen Universitäten entlassen – Teil einer umfassenderen politischen Säuberung, die Tausende von Karrieren und Leben zerstört hat. Dennoch zeigen die Geschichten des „Experience Sharing Meeting“, wie viele hochqualifizierte Menschen in ganz Europa erfolgreich ihr akademisches Leben wiederaufgebaut haben. Dank ihres Fachwissens, ihrer Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit haben sie sich neue Aufgaben in Forschung und Lehre gesichert und leisten oft einen Beitrag für ihre Gastländer, während sie gleichzeitig ihre akademischen Verbindungen zur Türkei aufrechterhielten. Ihre Erfolge verdeutlichen sowohl die Tragik der erzwungenen Abwanderung als auch das Potenzial für Erneuerung, wenn Talente durch Solidarität und Chancen gefördert werden.