
Die Türkei befindet sich seit kurzem an einem kritischen Scheideweg zwischen Demokratie und Autoritarismus. Die Verhaftung des Bürgermeisters der Istanbuler Stadtverwaltung, Ekrem İmamoğlu, und die Aberkennung seines Universitätsabschlusses lösten landesweite Proteste aus. Diese Proteste, die insbesondere von Universitätsstudenten angeführt wurden, entwickelten sich zu einer Widerstandsbewegung gegen die zunehmend repressive Politik der Regierung.
İmamoğlus Verhaftung und Entzug seines Diploms
Am 18. März 2025 annullierte die Universität Istanbul Ekrem İmamoğlus Diplom mit der Begründung, es habe bei seinem Quereinstieg von einer privaten Universität in Nordzypern an die Universität Istanbul im Jahr 1990 zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Diese Entscheidung nahm İmamoğlu die Möglichkeit, bei den Präsidentschaftswahlen 2028 zu kandidieren.
Am nächsten Tag, dem 19. März 2025, wurden İmamoğlu und mehr als 100 seiner Begleiter wegen Korruption und Verbindungen zur Terrororganisation PKK festgenommen. Oppositions- und Menschenrechtsorganisationen gingen davon aus, dass diese Festnahmen politisch motiviert waren.
Ironischerweise ist das Schicksal des Universitätsabschlusses von Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit Jahren ungeklärt, während dem Oppositionsführer İmamoğlu der Abschluss aberkannt wurde. Zweifel daran, ob Erdoğan tatsächlich einen Universitätsabschluss besitzt, werden in der Öffentlichkeit weiterhin diskutiert; Bislang wurde jedoch weder ein transparentes Dokument noch eine unabhängige Überprüfung zu dieser Angelegenheit vorgelegt.
Seit Beginn der Proteste wurden landesweit fast 2.000 Menschen festgenommen. Darunter sind auch zahlreiche Universitätsstudenten. Derzeit befinden sich rund 200 Menschen in Haft.
Von Universitätsstudenten angeführte Proteste
Die Verhaftung von İmamoğlu und die Annullierung seines Diploms lösten unter den Universitätsstudenten große Reaktionen aus. Die Studierenden der Universität Istanbul reagierten darauf mit einem Boykott des Unterrichts und der Organisation von Protesten auf dem Campus. Diese Aktionen breiteten sich auf andere Universitäten aus und entwickelten sich zu einer landesweiten Studentenbewegung.
Mit dem Slogan „Kein Unterricht bei Gewalt“ erhoben Studierende ihre Stimme gegen die Unterdrückung an den Universitäten. Auch Studierende der Middle East Technical University (METU) protestierten gegen die Unterdrückungspolitik der Regierung, indem sie Demonstrationsmärsche auf ihrem Campus organisierten.
Aufrufe zum Wirtschaftsboykott
Özgür Özel, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei (CHP), rief nach İmamoğlus Verhaftung zu einem Wirtschaftsboykott regierungsnaher Unternehmen auf. Dieser Aufruf wurde von Studierenden und zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt. Regierungsvertreter reagierten scharf, bezeichneten die Boykotte als „wirtschaftliche Sabotage“ und kündigten rechtliche Schritte an.
Die Rolle der Wissenschaft und internationale Reaktionen
Akademiker und Universitäten in der Türkei unterstützten die Proteste der Studenten und betonten, dass die akademische Freiheit geschützt werden müsse. Bei den an der Universität Istanbul abgehaltenen Foren wurde ein akademischer Boykott beschlossen und erklärt, dass die Universitätsverwaltungen dem Druck der Regierung stärker standhalten sollten.
Auf internationaler Ebene kritisierten der Europarat und verschiedene Menschenrechtsorganisationen die Verhaftung von İmamoğlu und die demokratischen Rückschläge in der Türkei und forderten die Regierung auf, die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren.
Die Zukunft der Türkei und die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft
Die Türkei befindet sich an einem kritischen Wendepunkt zwischen Demokratie und Autoritarismus. Die Verhaftung İmamoğlus und der Aufstieg der Studentenbewegungen zeigen den Wunsch breiter Teile der Gesellschaft, demokratische Werte zu verteidigen. In diesem Prozess ist es von großer Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft Verantwortung für den Schutz demokratischer Institutionen und die Verteidigung der Menschenrechte in der Türkei übernimmt.